Geschichte der Meteoritenkunde


Der älteste gesicherte Meteoritenfall Europas ereignete sich am 7. November 1492 in der Nähe des Städtchens Ensisheim im Elsass, im selben Jahr in Tafelbergedem Kolumbus die "Neue Welt" entdeckte. Unter grossem Getöse ging ein 127 kg schwerer, keilförmiger Steinmeteorit nieder und bohrte sich in den Ackerboden. Zahlreiche Schaulustige strömten herbei und begannen, Stücke des wundersamen Steines abzuschlagen, um sie als glücksbringenden Talisman oder kurioses Mitbringsel an sich zu nehmen. Der herbeigeeilte Landvogt unterband das Treiben seiner Untertanen und ließ den Meteorit in sein Schloss bringen. Der Vorfall erregte ein derartig grosses öffentliches Interesse, dass sich bereits 15 Tage später Kaiser Maximilian I. in Ensisheim einfand, um über den "Donnerstein von Ensisheim" Gericht zu halten. Und obschon der aufgeschlossene Kaiser von dem Meteoriten fasziniert war, hiess er ihn in der örtlichen Pfarrkirche aufhängen, d.h. in Ketten legen, damit er keinen weiteren Schaden anrichten könne.

Den meisten Meteoriten ging es im Mittelalter wie dem Donnerstein von Ensisheim. Sie wurden als Teufelswerk gebannt und möglichst auf heiligem Boden oder in Kirchen an die Kette gelegt. Es dauerte bis zum Ende des 18. Jahrhunderts bis die Meteorite auch die Aufmerksamkeit der aufgeklärten Gelehrten erregten. Leider teilten die meisten von ihnen die Meinung von Sir Issac Newton, der den interplanetarischen Raum für frei von Materie erklärt hatte, um die Bahnen der Planeten und Kometen nicht zu stören. So blieben für die Erklärung der Herkunft der Meteorite damals nur atmosphärische Phänomene oder der irdische Ursprung dieser seltsamen Steine und Eisen. Die Anhänger der ersten Lehrmeinung waren der Ansicht, dass Meteorite aus "zähen und groben Dünsten der unteren Luft" entstehen und ganz ähnlich auskristallisieren wie Hagel oder Schnee. Die Vertreter der zweiten These vermuteten Wirbelstürme, Vulkane und ähnliche Phänomene als eigentliche Urheber - eine Ansicht, die aufgrund eines Meteoritenfalls in Italien, der sich nur wenige Stunden nach einem Ausbruch des Vesuvs zugetragen hatte, zahlreiche Anhänger fand.

 

Ein Umbruch im Denken begann sich erst anzubahnen, als der deutsche Forschungsreisende Peter Simon Pallas, der im Auftrag der Zarin Katharina I. das südöstliche Russland und Sibirien erkundete, im Jahre 1772 in der Nähe der Stadt Krasnojarsk auf eine etwa 700 kg schwere Eisenmasse aufmerksam wurde, von der die Tartaren erzählten, sie sei dort vom Himmel gefallen. Das Eisen war in mancher Hinsicht seltsam, denn es besass nicht nur eine äussere, schwarze Kruste, sondern in ihm waren auch gleichmässig Olivin-Kristalle (Peridote) eingebettet - etwas, das man bis dahin nirgendwo auf der Erde gesehen hatte. Pallas hatte, ohne es zu wissen, eine neue Meteoritenklasse entdeckt, eine Variante der Steineisen-Meteorite, die nach ihm Pallasite genannt wurden.

Dieser Fund ermutigte den deutschen Gelehrten Ernst Friedrich Chladni im Jahr 1794 in seiner Schrift "Über den Ursprung der von Pallas gefundenen und anderer ihr ähnlicher Eisenmassen, und über einige damit in Verbindung stehende Naturerscheinungen" der gültigen Lehrmeinung entgegenzutreten und einen kosmischen Ursprung der Meteorite anzunehmen. Eine Schrift, die ihrem Autor zunächst nur Spott einbrachte und wohl bald vergessen worden wäre, wenn ihm nicht der Zufall - sprich der Fall eines Meteoriten - zur Hilfe gekommen wäre. So fiel am 13. Dezember 1795 im hellen Tageslicht und bei klarem Himmel ein Meteorit im englischen Wold Cottage - ein Ereignis, das zumindest die Vertreter der atmosphärischen Entstehung der Meteorite zum Schweigen brachte.

Der Meteorit von Wold Cottage wurde bald von dem aufgeschlossenen und angesehenen britischen Chemiker Edward Howard untersucht. Howard fand in diesem Stein ähnliche Eisen-Nickel-Legierungen, wie sie zuvor im Pallas-Eisen und anderen Eisenmeteoriten nachgewiesen wurden - Legierungen, die in irdischen Gesteinen und Erzen unbekannt waren. Die Veröffentlichung seiner Ergebnisse im Jahre 1802 wurde zwar immer noch mit grosser Skepsis aufgenommen, aber Chladnis Anschauungen fanden nun auch in den konservativen Kreisen der damaligen Wissenschaft immer mehr Zuspruch. Und als am 26. April 1803 in L'Aigle, 120 km westlich von Paris am hellichten Tage ein gewaltiger Meteoritenschauer (von mehr als 3.000 Steinen!) niederging, der von zahllosen Menschen beobachtet wurde, war der Bann endgültig gebrochen. Es gab nun ein öffentliches Interesse an der Meteoritenfrage, die die Wissenschaftler zwang, sich eingehender mit der Materie zu befassen.

So erblühte im 19. und 20. Jahrhundert die Meteoritenkunde zur eigenständigen Wissenschaft, die begann, die verschiedenen Meteorite in Typen (Eisen-Meteorite, Steineisen-Meteorite und Stein-Meteorite) und weitere Klassen zu unterteilen, ihre chemische und mineralogische Zusammensetzung wie auch ihre physikalischen Eigenschaften zu prüfen. Zahlreiche bedeutende Sammlungen entstanden in verschiedenen Museen und Instituten in aller Welt. Doch erst das Zeitalter der Raumfahrt und der Atomphysik hat die moderne Meteoritenkunde an einen Punkt gebracht, an dem es zunehmend gelingt, den Meteoriten ihre Geheimnisse zu entlocken und die Frage nach ihrer individuellen Herkunft zu klären. Dabei war es den beteiligten Forschern gar nicht klar, dass sie damit auch die Frage nach unserer eigenen Herkunft wie nach unserer Position im Kosmos völlig neu formulieren würden (siehe Sensationen).