Herkunft der Meteoriten


Obschon Ernst Chladni bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts die wissenschaftlichen Kreise überzeugt hatte, dass Meteorite kosmischen UrsprungsKomet sind, blieb ihre tatsächliche Herkunft doch bis zur zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein Rätsel. Stammten die kosmischen Besucher vom Mond, von anderen Planeten oder waren sie vagabundierende Materiebrocken, die ihren Ursprung in Bereichen außerhalb unseres Sonnensystems hatten? Erst die modernen Methoden des Raumfahrtzeitalters und der Atomphysik waren in der Lage, den Meteoriten die Geheimnisse ihres Ursprungs nach und nach zu entlocken.

So war es zum Beispiel möglich, die Herkunft einiger beobachteter Meteoritenfälle recht genau zu bestimmen, indem man die Bahn der Meteoriten mit Hilfe von Gleichungen und Berechnungen bis zu ihrem Ursprung verfolgte. Dieser lag fast immer im Asteroidengürtel, einem breiten Bereich zwischen den Umlaufbahnen der Planeten Mars und Jupiter, in dem unzählige grosse und kleine Materiebrocken auf verschiedenen Bahnen die Sonne umkreisen. In dem recht dichten Gürtel kommt es immer wieder zu Kollisionen zwischen verschiedenen Asteroiden, bei denen Stücke abgespalten und aus ihrer Bahn geschleudert werden. Diese "kosmischen Ausreisser" - ob gross oder klein - pendeln sich dann auf neue, oft wesentlich exzentrische Umlaufbahnen ein, die sich teilweise mit der Umlaufbahn unserer Erde kreuzen. Es sind prospektive Meteorite, die unweigerlich früher oder später von der Schwerkraft eines Planeten - der Erde, des Mondes oder des Mars - eingefangen werden und auf dessen Oberfläche stürzen.

Nun gibt es aber eine Vielzahl von Asteroiden, von denen bereits viele Tausend mit Namen und Nummern versehen wurden, und diese Asteroide sind dabei alles andere als einheitlich. Spektrographische Untersuchungen von Teleskopen und Raumsonden haben ergeben, dass es vielerlei Typen von Asteroiden gibt, die sich in Materialbestand und Aufbau teils erheblich unterscheiden. So gibt es zum Beispiel dunkle C-Asteroide, die aus kohlenstoffhaltigen Mineralien zusammengesetzt sind, S-Asteroide, die aus helleren, stärker reflektierenden Gesteinen bestehen oder M-Asteroide, deren Oberfläche metallisch zu sein scheint. Dabei hat jeder Asteroid ein bestimmtes Reflexionsspektrum, das ihn wie eine Art Fingerabdruck charakterisiert. Mit Hilfe dieser einmaligen Fingerabdrücke hat die moderne Meteoritenkunde den ein oder anderen Asteroiden als Mutterkörper bestimmter Meteoritenklassen und -gruppen identifizieren können.

Ein gutes Beispiel sind die Meteorite der HED-Gruppe, die Howardite, Eukrite und Diogenite. Diese bilden nicht nur aufgrund ihrer chemischen und mineralogischen Eigenschaften eine Einheit, die vermuten lassen, dass sie alle vom gleichen Mutterkörper stammen, sondern sie besitzen auch ein einmaliges Reflexionsspektrum, zu dem man vor einigen Jahren ein genaues Gegenstück im Asteroidengurt gefunden hat: 4 Vesta. Vesta ist mit über 530 km Durchmesser nicht nur der viertgrösste Asteroid in unserem Sonnensystem, sondern sie unterscheidet sich auch von den meisten anderen Asteroiden dadurch, dass sie kein unregelmässiges Fragment, sondern nahezu eine Kugel ist, ein echter Planetoid mit einer grossen Ähnlichkeit zu den terrestrischen Planeten (Merkur, Venus, Erde, Mars). Ich sage, "nahezu eine Kugel", weil ein gewaltiger Krater am Südpol mit 460 km Durchmesser und einer Tiefe von 13 km die Vesta eher wie einen Apfel erscheinen läßt. Aus diesem Krater wurden einst bei der Kollision mit einem anderen Asteroiden die Meteorite der HED-Gruppe ausgeworfen, wobei die Howardite Muster von der Oberfläche, Eukrite Teile des basaltischen Mantels und Diogenite Muster von plutonischen Tiefengesteinen der Vesta darstellen. Grafik: Oortsche Wolke

Doch nicht alle Meteorite stammen aus dem Asteroidengürtel. Bei einigen Mitgliedern der Gruppe der kohligen Chondrite fand man Hinweise, dass sie Kernfragmente ausgebrannter Kometen sein könnten. Komete stammen aus den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems, der sogenannten Oorthschen Wolke, die weit ausserhalb der Umlaufbahn des Pluto liegt und aus abertausenden von "schmutzigen Schneebällen" besteht - einer Mischung aus Gestein und Wassereis, das aus der Entstehungszeit des Sonnensystems übrig geblieben ist. Von Zeit zu Zeit dringen einige dieser Objekte, von der Schwerkraft eines vorbeiziehenden Sterns gestört, auf ihren exzentrischen Bahnen in das Innere unseres Sonnensystems ein, schmelzen in der Nähe der Sonne und gefrieren wieder auf ihrem Weg in die äusseren Bereiche. Dabei zeigen sie nicht nur den typischen Kometenschweif aus verdampfenden Wasser, sondern verlieren auch mehr und mehr Materie, bis nach zahlreichen Umrundungen der Sonne nur noch ein ausgebrannter Kern übrig ist, von dem Teile als Meteorite auf der Erde landen können.

Einigen wenigen Meteoriten hat man inzwischen aber eine noch viel prominentere Herkunft nachweisen können. Am 18. Januar 1982 fand ein amerikanisches Forscherteam in den Bergen der antarktischen Allan Hills einen kleinen Meteoriten mit einem Gewicht von nur 31,4g, der mit der Kennung ALH81005 versehen wurde. Die spätere Untersuchung des Winzlings ergab eine ausgesprochene Ähnlichkeit mit Gesteinen, die von den Apollo-Flügen vom Mond mitgebracht wurden. Und nach ausgiebigen Untersuchungen bei der NASA und in zahlreichen Instituten stand bald fest: ALH81005 war tatsächlich ein Mondmeteorit, eine unschätzbar wertvolle Gesteinsprobe, die ohne menschliche Hilfe ihren Weg von unserem direkten Nachbarn zur Erde gefunden hatte.

ALH81005 sollte nicht lange alleine bleiben. Japanische Forscher untersuchten nach dieser wissenschaftlichen Sensation ihre Bestände antarktischer Meteorite und stellten fest, dass sie bereits im Jahr 1979 drei Mondmeteorite geborgen hatten, die allerdings erst nach 1982 als solche erkannt wurden. In Folge dieser Funde verstärkten sowohl die USA als auch Japan ihre antarktischen Meteoritenprogramme, die neue lunare Meteorite an den Tag förderten. Und im Jahr 1990 fanden australische Aborigines den ersten nicht-antarktischen Mondmeteoriten, der nach seinem Fundort Calcalong Creek benannt wurde und mal gerade 19g wiegt.

Insgesamt sind bis zum heutigen Tag vierundzwanzig Mondmeteorite bekannt, die jedoch vermutlich aus nur achtzehn verschiedenen Fällen stammen. Von diesen achtzehn Fällen stammen elf aus dem Eis der Antarktis, einer aus Australien, drei aus den Wüsten Nordafrikas und drei weitere aus dem Oman. Weitere Kandidaten aus den Wüsten des Omans und aus der Sahara befinden sich derzeit in Analyse, so dass sich ihre Zahl bald erhöhen könnte. Wie selten diese Meteorite dennoch sind, mag man daraus ersehen, dass nicht einmal 0,1% aller bekannten Meteorite lunaren Ursprungs sind. Zusammen bringen die bislang bekannten Mondmeteorite nicht einmal 6kg auf die Waage!

Ähnlich selten ist die Gruppe der SNC-Meteorite, die nach  den Anfangsbuchstaben dreier historischer Fälle benannt wurde: Shergotty, Nakhla und Chassigny. Diese Meteorite wurden zusammen mit einigen antarktischen Funden aufgrund mineralogischer und chemischer Ähnlichkeiten in eine Gruppe zusammengefasst, die den Wissenschaftlern einige Rätsel aufgab. So sind zum Beispiel alle dieser Meteorite mit einem Alter von weniger als 1,5 Milliarden Jahren relativ jung verglichen zu dem üblichen Alter der Meteorite aus dem Asteroidengürtel, das gewöhnlich um die 4,5 Milliarden Jahre liegt und damit in die Zeit der Entstehung unseres Sonnensystems zurückweist. Die SNC-Meteorite sind darüber hinaus offenbar vulkanischen Ursprungs, was die Wissenschaftler nach einem Mutterkörper suchen liess, der noch in jüngerer Zeit geologisch aktiv war. Hierfür kamen nur terrestrische Planeten wie Merkur, Venus und Mars in Frage.

Des Rätsels Lösung war gefunden, als amerikanische Wissenschaftler eingeschlossene Gasblasen in einem antarktischen SNC-Meteoriten auf ihre molekulare Zusammensetzung untersuchten und diese mit den Ergebnissen der Viking-Sonden verglichen, die im Jahre 1976 unter anderem die genaue Zusammensetzung der Marsatmosphäre untersucht hatten. Die in dem Meteoriten eingeschlossenen Gasproben stimmten exakt mit den von Viking gemessenen Werten überein, und heute gibt es keinen Wissenschaftler mehr, der ernsthaft bezweifelt, dass die SNC-Meteorite tatsächlich vom Mars stammen!

Bis zum heutigen Tage sind zweiundzwanzig Marsmeteorite bekannt, die aber vermutlich aus nur siebzehn Fällen stammen. Von diesen siebzehn stammen sechs aus der Antarktis, drei aus den Wüsten Nordafrikas, zwei aus dem Oman, zwei aus den USA sowie jeweils einer aus Nigeria, Indien, Frankreich und Brasilien. Weitere Kandidaten aus den Wüsten Afrikas sind derzeit in Analyse. Im Gegensatz zu den Mondmeteoriten, die allesamt Funde sind, handelt es sich bei vier der Marsmeteorite um beobachtete Fälle, darunter die Namensgeber Shergotty (25. August 1865, Indien), Nakhla (28. Juni 1911, Ägypten) und Chassigny (3. Oktober 1815, Frankreich) sowie der jüngste Fall, Zagami (3. Oktober 1962, Nigeria). In wissenschaftlichen Kreisen wird übrigens heftig diskutiert, ob es ein Zufall ist, das zwei dieser ausgesprochen seltenen Meteorite ausgerechnet an einem 3. Oktober gefallen sind. Diese Koinzidenz ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass die Erde jeweils am 3. Oktober einen Schwarm von uralten Bruchstücken vom Mars kreuzt - halten sie also ihre Augen auf!

Die Herkunft zahlreicher anderer seltener Meteorite bleibt aber weiterhin ungeklärt oder unsicher. Im Bereich Klassifizierung finden Sie, soweit bekannt, Hinweise auf den Ursprung der jeweiligen Meteoritentypen, -klassen und -gruppen. Es ist zu erwarten, dass derzeitige Untersuchungen neue Mutterkörper identifizieren, und wer weiss, vielleicht können wir schon bald von den ersten Meteoriten vom Merkur oder von der Venus berichten.